Problematik bei der Hilalsichtung
Die Tag-Datums-Problematik - ein globales Problem
Bei dem Begriff „Tag“ und dem Begriff „Datum“ handelt es sich um zwei verschiedene Dimensionen. Ein „Tag“ ist ein, durch sinnliche Wahrnehmungen begrenztes, Phänomen und als solches im Qur’ān und in der Šarīʿa (dem islamischen Gesetz, ….dem sicheren Weg zu Allāh) beschrieben. Im astronomischen Sinn ist ein „Tag“ nicht wirklich existent, weil er nie endet, sondern sich ohne Unterbrechung von einer Stelle der Erdoberfläche zu einer anderen verschiebt. Das „Datum“ dagegen ist ein Kommunikationsinstrument, welches in Bezug auf beobachtbare Bewegungsabläufe der Planeten unterschiedlich definiert werden kann (verschiedene Sonnenkalender, Mondkalender) und nicht grundsätzlich mit dem Erlebnis des Sonnenauf- und/oder -unterganges gleichzusetzen ist. Dies zu verstehen ist entscheidend, will man die tiefere Bedeutung der Hilāl-Sichtung für die Seele erfassen.
Der Tag im „Westen“ ist genau 24 Stunden lang. Der neue Tag beginnt um 0 Uhr lokaler Zeit. Man hat für den Sonnenkalender eine internationale Datumsgrenze ausgearbeitet, wo das Datum und der Tag wechseln, wenn man diese Linie überquert. Im Islam dagegen hört der Tag mit dem Sonnenuntergang auf und der nächste Tag bricht an, somit wechselt der Tag schon in den Abendstunden und der Tagesbeginn und die Tageslänge variieren je nach der geographischen Lage des Ortes.
Wird der Hilāl nach dem Sonnenuntergang gesichtet, so hat der nächste Tag angefangen. Im Ramaḍān ist es so, dass an diesem Abend schon das Tarāwiḥ-Gebet abgehalten wird, weil wir uns in Monat Ramaḍān befinden. Und wird der Hilāl nach 29. oder 30. Tagen Ramaḍān wieder am Abend gesichtet, so hat der Monat Šawwāl angefangen und das Tarāwiḥ-Gebet wird an diesem Abend nicht verrichtet. Nicht das „Datum“ bestimmt den Monatsanfang, sondern der „Tag“!
In der Zeit der globalen Telekommunikation nimmt man an, dass die Sichtung in Amerika auch für Europa gelte. Strikt nach dem oben aufgeführten Gründen dürfte dies nicht der Fall sein. Deutlich wird es im folgenden Beispiel: Nehmen wir mal an, dass der Hilāl am 1. nur auf Hawai’i gesichtet werden kann und nirgends woanders auf der Erde. Die Sichtung dort müsste ca. 18 Uhr erfolgen. In Deutschland wäre das genau der 2. um 4 Uhr morgens, noch vor Sahūr. In Tokio wäre es auch der 2. aber am Mittag um 13 Uhr. Sahūr wäre dort schon vor ca. 8 Stunden gewesen. Deshalb kann eine Sichtung des Hilāls in Amerika nicht für Asien gelten. Wird die aktuelle Mondsichtung in Amerika von Europa akzeptiert, so entsteht eine Diskrepanz, die zum Widerspruch führt.
Die ʿUlamā’ aber akzeptieren alle Sichtungen unabhängig vom Ort vor der lokalen Sahūr-Zeit! Diese Entscheidung beruht auf dem Meiden von Zwietracht (näheres bald).
Die Uneinheitlichkeit der Umma - ein europäisches Problem
In Regionen wie Europa und Nord-Amerika, wo es keine einheitlichen islamischen Instanzen gibt, finden Ramaḍān-Anfänge und islamische Feste an gleichen Orten zu verschiedenen Zeiten statt. Es ist in Europa, besonders in Deutschland so, dass tatsächlich Muslime die anderen Organisationen oder die eigene heftigst kritisieren! Um das Problem der Monatsanfänge aus der Welt zu schaffen, muss ein europäisches einheitliches Komitee zur Mondsichtung gegründet werden. Dies wäre auch ein Schritt zum inneren Dialog unter islamischen Organisationen. Aber allein hier sind wir überfordert. Die Umma ist gespalten und gegenseitig wird sich Zwietracht vorgeworfen. Es haben sich Gruppierungen gebildet, die verschiedene Kriterien zur Sichtung des Mondes heranziehen:
- Die erste Gruppe (Ahlu l-sunna wa-l-ǧamāʿa) sagt, dass das Sichten des Mondes mit dem Auge und nach manchen auch in dem Gebiet, in dem man lebt geschehen müsse, damit der Ramaḍān verbindlich wird. Ein Zeuge muss als vertrauenswürdig gelten und er muss ein Muslim sein.
- Die zweite Gruppe sagt, dass das Sichten des Mondes zwar mit den Augen, aber irgendwo auf der Welt stattfinden kann. Dadurch würde der Ramaḍān verbindlich. Dieser Meinung setzen wir entgegen, dass dies nicht die Ansicht der vier Rechtsschulen ist, sondern vielmehr eine vielleicht gut gemeinte Idee, welcher das Streben nach Einheit unter den Muslimen zu Grunde liegt. Es gibt aber keinerlei Notwendigkeit oder Sinn, dass der Fastenmonat überall in der Welt zum gleichen Datum beginnen und enden sollte. Es ist ein interessantes Phänomen am Rande, dass viele derjenigen, welche ihre Regierungen als ungläubig bezeichnen, gerade in dieser Angelegenheit aber der jeweiligen Regierung ungeprüft vertrauen. Das beliebte Argument der Vermeidung von Fitna (Uneinigkeit, Zwietracht unter den Gläubigen) ist hier nicht anwendbar und besonders deshalb nicht, weil regelmäßige Falschmeldungen in den Medien über das Sichten des Hilāl nachweislich bekannt sind.
- Die dritte Gruppe sagt, man müsse die ganze Angelegenheit grundsätzlich berechnen, weil „sehen“ mit „wissen“ gleichzusetzen sei und die Berechnung sei dann für alle Muslime bindend. Zur Rechtfertigung werden linguistische Überlegungen herangezogen. Diese absurde, der Sunna und der Anordnung des Propheten (der Friede Allāhs sei mit ihm) zuwidersprechende Ansicht ist keiner weiteren Beachtung wert. Diese Gruppe gehört dem extremen Kultur-Islam an und es ist fraglos, dass sie die Anordnung, sowohl als auch die Sunna (das praktische Beispiel) des Propheten (der Friede und der Segen Allāhs seien auf ihm) missachtet.
In islamischen Ländern bestimmt die Regierung, wann ein Monat für dieses Land anfängt. In Deutschland und Europa dagegen gibt es die dominierenden Organisationen a) DITIB, welche eine Institution der Türkischen Republik ist (dem Kulturministerium untergeordnet), und die zivile und unabhängige Organisation b) IGMG (Islamische Gemeinschaft Milli Görüš).
DITIB folgt der Türkischen Republik, welche sich nicht nach der aktuellen Sichtung des Mondes, sondern nach Berechnungen der Sichtbarkeit des Mondes richtet. Ihre Kriterien für die Sichtung des Monats sind: Eine Elongation von mehr als 8 Grad und einer Höhe von 5 Grad, welches die aktuelle Sichtung nicht ersetzen kann und auch sehr ungenau definiert ist (siehe http://www.diyanet.gov.tr/vakithes/toplanti.html türkisch!).
IGMG richtet nach der hanīfitischen Rechtschule, die besagt, dass der Zeuge ein vertrauenswürdiger Muslim sein muss, wonach anonyme Medienmeldungen aus Ländern, deren Regierungen bereits offenkundig gegen die Šarīʿa gerichtete Ansichten eingeführt haben, besser nicht zu berücksichtigen sind, es sei denn, die volle Dokumentation der Sichtbarkeit wurde vertrauenswürdig erbracht (Name, Adresse, Ort) und die astronomischen Bedingungen schließen die Sichtbarkeit nicht aus. Vom 19.-23. Juli 1999 fand in Köln aufgrund einer offiziellen Einladung der Milli Görüš die 3. Reguläre Konferenz des European Council for FATWA and Research statt. An dem Treffen nahmen unter dem Vorsitz von Yūsuf al-Qaraḍāwiyy die meisten Mitglieder des Councils teil.
Nach organisatorischen Dingen wurden bei diesem Treffen einige Fragestellungen, mit denen auf die Vereinigung herangetreten wurde, behandelt, und man kam zu Entscheidungen bezüglich dieser Fragestellungen. Im folgenden werden einige der wichtigsten dieser Fragestellungen und die diesbezüglichen Entscheidungen in zusammengefasster Form vorgestellt.
Der Beginn und das Ende des Ramaḍān und der Einfluss von astronomischen Berechnungen
Der Ramaḍān fängt dann an bzw. ist dann zu Ende, wenn in irgendeinem islamischen Land der Neumond im Sinne der Šarīʿa gesichert gesehen wurde – dabei ist es egal, ob er mit bloßem Auge oder mit Hilfe eines Teleskops gesehen wurde. Denn der Gesandte Allāhs (Allāhs Segen und Heil auf ihm) hat in einem Saḥīḥ-Ḥadīṯ gesagt: „Wenn ihr den Neumond (arab. Hilāl) gesehen habt, dann fastet, und wenn ihr ihn gesehen habt, dann brecht das Fasten“ und „Fastet, wenn ihr ihn gesehen habt und brecht das Fasten, wenn ihr ihn gesehen habt“ (arab. sumū li-ru’yatihi wa-ftirū li-ru’yatihi).
Jedoch muss es - gemäß astronomischer Berechnungen – überhaupt möglich sein, dass der Neumond in irgendeinem Gebiet prinzipiell gesehen werden kann.
Falls die Aussagen von Zeugen, die behaupten, den Mond gesehen zu haben, den astronomischen Berechnungen widersprechen, so ist die Zeugenaussage abzulehnen, da durch eine Zeugenaussage nicht ein hundertprozentiger Beweis für die Wahrheit eines Tatbestandes angesehen werden kann. Eine korrekte mathematische Berechnung ist jedoch ein hundertprozentiger Beweis. Und eine nicht hundertprozentige zweifelsfreie Beweisführung kann nicht einer hundertprozentigen Beweisführung opponieren, und schon gar nicht einer hundertprozentigen Beweisführung vorgezogen werden. Darin stimmen die Gelehrten überein.
In dem Fall also des Widerspruchs gegenüber absolut korrekten astronomischen Aussagen wird eine Zeugenaussage, den Mond gesehen zu haben, als (optische) Täuschung, als Fehler oder als Lüge zurückgewiesen.
Die Vereinigung legt Wert darauf hinzuweisen, dass mit astronomischen Berechnungen solche Rechnungen gemeint, die die Mathematik und die moderne Astronomie als Grundlage haben und nicht etwa die vom Islam überhaupt zurückgewiesene astrologische Sterndeuterei (arab. tanǧīm) oder etwa die Aussagen von diversen Gebetszeitenkalendern. (Aus: „Al-Europiya“, Juli 1999, Aktuelle Fatwās für in Europa auftretende Fragestellungen – The European Council for FATWA and Research, 3. Reguläre Konferenz vom 19.-23. Mai in Köln)
Viele Muslime verschiedener Herkunft folgen auch ihrem eigenen Mutter- oder Vaterland, z.B. Marokkaner fangen mit Marokko an und hören mit dem Fasten synchron mit Marokko auf.
Die Saudi-Problematik
Viele Muslime denken, dass die „Heimat des Islams“ Saudi-Arabien ihre Monatsanfänge nach der Sichtung des Hilāls ausrichtet. Aber in den letzten Jahren wurde es für viele Muslime und Astronomen ersichtlich, dass Saudi-Arabien sich nicht nach der aktuellen Sichtung des Hilāls richtet.
Konkrete Beispiele:
Ramaḍān 1419 n.H. | Šawwāl 1419 n.H. | Šawwāl 1420 n.H. |
Neumond (nicht sichtbar): 18. Dezember 1998 um 22.42 Uhr | Neumond (nicht sichtbar): 17. Januar 1999 um 15:46 Uhr | Neumond (nicht sichtbar): 6. Januar 2000 um 18.14 Uhr |
Saudi-Arabien publiziert, dass der 19. Dezember 1998 der 1 . Ramaḍān 1419 n.H. sei! D.h. dass der Hilāl am Abend (ca. 18 Uhr) des 18. Dezembers 1998 hätte gesichtet werden müssen. Das ist aber astronomisch unmöglich, weil der Mondzyklus um die Zeit nicht abgeschlossen war und sich erst der Konjunktion näherte (siehe CrashKurs)! Mögliche Sichtung wäre frühestens am 19. Dezember 1998, so dass der 20. Dezember 1998 der 1. Ramaḍān 1419 n.H. ist!Quelle: Ramaḍān 1419 AH | Saudi-Arabien veröffentlicht, dass der 18. Januar 1999 der 1. Šawwāl 1419 n.H. ist (also 1. Ramaḍan- Festtag)! D.h. dass der Hilāl am Abend (ca. 18 Uhr) des 17. Januars 1999 hätte gesichtet werden müssen. Diese Hilāl-Sichtung ist astronomisch unmöglich, weil das Alter des Mondes weniger als 15 Stunden (ein Kriterium für die Sichtbarkeit des Mondes mit bloßen Augen; 12 Stunden für Teleskop, siehe CrashKurs) gewesen ist. Mögliche Sichtung wäre frühestens am 18. Januar 1999, so dass der 19. Januar 1999 der 1. Šawwāl 1419 n.H. ist. Saudi-Arabien musste aber den 18. Januar 1999 zum 1. Šawwāl deklarieren, weil sie 30 Tage Ramaḍān vollendet hatten. Dies wiederum ist auf den falschen Anfang des Ramaḍāns zurückzuführen! Ein Fehler folgt dem anderen!Quelle: Šawwāl 1419 AH | Saudi-Arabien veröffentlicht, dass der 7. Januar 2000 der 1. Šawwāl 1420 n.H. ist (also der 1. Ramaḍān-Festtag). D.h. dass der Hilāl am Abend (ca.18 Uhr) des 6. Januars 2000 hätte gesichtet werden müssen. Wie sie oben entnehmen können ist es astronomisch unmöglich, dass der Hilāl an diesem Tag gesehen werden konnte, da um die Zeit die Konjunktion stattfand. Erst 15 Stunden nach der Konjunktion hätte man den Hilāl sehen können! Mögliche Sichtung wäre am 7. Januar 2000, so dass der 8. Januar 2000 der 1. Šawwāl 1420 n.H. ist.Quelle: Šawwāl 1420 AH |
Wie stellt Saudi-Arabien seine Monatsanfänge fest?
Saudi-Arabien benutzt offiziell den Ummu l-Qurā-Kalender. Der Ummu l-Qurā-Kalender ist ein von der Mondsichtung unabhängiger Kalender. Er ist nach bestimmten Regeln definiert, so dass man den Kalender z.B. für das Jahr 2010 käuflich erwerben könnte. In diesem Kalender kann man nachschlagen, wann ein Monatsumbruch stattfindet. Das gilt natürlich für die Monate wie Ramaḍān, Šawwāl und Dhū l-Hiǧǧa, was nach dem islamischen Recht nicht akzeptabel ist, da es die aktuelle Mondsichtung verlangt.
Nach 1420 n.H. hat Saudi-Arabien den Ummu l-Qurā-Kalender neu definiert. Die Monatswechsel wurden bisher folgend definiert:
- Monatsumbruch, wenn bei Sonnenuntergang in Makka der Mond älter gleich 12 Stunden ist. z.B. 29. Dezember ist der 29 Šaʿbān und der Neumond entsteht nach Sonnenuntergang in Riyāḍ, z.B. um 11 Uhr am 29. Dezember. Am nächsten Tag (30. Dezember) beim Sonnenuntergang (z.B. um 5 Uhr) wird das Alter des Mondes 18 Stunden sein, was größer ist als 12 Stunden, so dass der 30. Dezember 1. Ramaḍān ist, obwohl der Neumond am 29. Šaʿbān nicht einmal beim Sonnenuntergang entstanden ist. Und in solchen Fällen geht meistens der Mond eher als die Sonne unter. Astronomisch wäre es unmöglich den Hilāl an diesem Abend zu sehen.
Nach der neuen Ordnung (zur Zeit praktiziert):
- Monatsumbruch, wenn die Sonne in Makka eher als der Mond untergeht.
- KEIN Monatsumbruch, wenn der Mond in Makka eher als die Sonne untergeht.
z.B. am 7. Dezember 1999 (29 Šaʿbān), die Sonne wird in Makka um 17:38 lokaler Zeit untergehen, und der Mond wird um 17:29 Uhr untergehen. Wenn der Mond eher als die Sonne untergeht, ist der 8. Dezember NICHT der 1. Ramaḍān! Folglich 1. Ramaḍān wird am 9. Dezember sein.
Unten finden wir zwei verschiedene Kalenderblätter des selben Tages. Rechts sehen wir den Kalender nach der alten Ordnung, welches vor der Änderung der Ordnung gedruckt wurde. Es zeigt, dass der 1. Ramaḍān 1420 n.H. der 8. Dezember 1999 ist. Und im Gegensatz dazu finden wir auf der linkem Seite den Ummu l-Qurā-Kalender 1420 n.H., welcher zeigt, dass der 1. Ramaḍān 1420 n.H. der 9. Dezember 1999 ist.
Quelle: Actual Saudi Dating System