Die astronomischen Gegebenheiten zum Beginn des Monats Šawwāl 1429 n.H.
Der geozentrische Neumond des Monats Šawwāl tritt ein am Montag, dem 29. September 2008 um 8:13 Uhr UT (d.h. um 10:13 MESZ). An diesem Tag könnte die junge Mondsichel nur mit optischen Hilfsmitteln im äußersten Süden von Argentinien und Chile gesehen werden. Eine Sichtung mit bloßen Augen würde nur weiter westlich davon im Südpazifik möglich sein. Dort gibt es keine Landmassen und dort finden ebenso wie im südlichen Südamerika auch keine regelmäßigen oder organisierten Beobachtungen des Hilāls statt.
Generell ist zu sagen, dass es aus diesen Weltgegenden in der Vergangenheit keinerlei Sichtungsmeldungen gab, es sind realistischerweise auch an diesem Tag daher keine Meldungen von dort zu erwarten. Außerdem wäre beim Eintreffen von Nachrichten aus diesen Gegenden in Europa bereits längst mit Sonnenuntergang der folgende islamische Tag angebrochen. Das heißt, selbst in diesem nicht zu erwartenden Fall wäre Dienstag, der 30. September noch als Fastentag anzusehen. Vgl. graphische Darstellung der Sichtbarkeitszone für den 29. September nach dem Yallop-Kriterium, Quelle: Programm Accurate Times von Muḥammad Odeh - ICOP. Die Berechnung der Sichtbarkeitszonen über das Yallop-Kriterium beruht auf der Auswertung von mehreren Hundert Sichtungen oder Nicht-Sichtungen des Hilāls während der vergangenen 140 Jahre.

(Erläuterung der Sichtbarkeitszonen: Grün - Hilāl mit bloßen Augen leicht zu sichten; Gelb - Sichtung mit bloßen Augen ist nur unter günstigen Bedingungen zu erwarten; Magenta - Es werden optische Hilfsmittel (z.B. Fernglas) benötigt, um den Hilāl am Himmel aufzufinden, danach kann Sichtung mit bloßen Augen möglich sein; Blau - Hilāl kann nur mit starken optischen Hilfsmitteln aufgefunden und gesehen werden; Weiß und rot - kein Sichten des Hilāls mit bloßen Augen oder mit optischen Hilfsmitteln möglich.)
Am darauf folgenden Dienstag, dem 30. September, wird in weiten Gebieten der Welt eine leichte Sichtung der jungen Mondsichel möglich sein: Australien, Indonesien, Indien, Arabien, der größte Teil von Afrika (außer dem äußersten Nordafrika), sowie Süd- und Nordamerika (außer Kanada). Pakistan, Iran, die Levante und die Türkei liegen allerdings wie ganz Europa noch außerhalb der Sichtbarkeitszone, damit besteht auch am Dienstagabend noch keine Möglichkeit einer Sichtung in Europa. Vgl. graphische Darstellung der Sichtbarkeitszone für den 30. September nach dem Yallop-Kriterium:

(Erläuterung der Sichtbarkeitszonen siehe oben)
Unter Anwendung des Prinzips der „lokalen Sichtung“ (Ikhtilāfu l-maṭāli`) und unter Betrachtung von Europa als einen zusammenhängenden Sichtungshorizont (Maṭla`) ergibt sich folgende Stellungnahme:
Das gesegnete Fest des Fastenbrechens fällt auf Donnerstag, den 2. Oktober 2008. Wa-Llāhu a`lam.
Da in Europa der Monat Ramaḍān nach dem Prinzip der „lokalen Sichtung“ korrekterweise am Dienstag, dem 2. September begonnen wurde, werden dort somit im Monat Ramaḍān 30 Tage gefastet werden.
Anmerkung: Unter Anwendung des Prinzips der „globalen Sichtung“ (Ittiḥādu l-maṭāli`) könnte bei Vorliegen von zuverlässigen Sichtungsmeldungen im Laufe des 30. September bereits am folgenden Tag das Fasten beendet werden. Der erste Tag des Fastenbrechen-Festes fällt in diesem Fall auf Mittwoch, den 1. Oktober. Da der Monat Ramaḍān nach dem Prinzip der „globalen Sichtung“ korrekterweise bereits am Montag, dem 1. September begonnen wurde, sind somit auch in diesem Fall im Monat Ramaḍān 30 Tage zu fasten. Wie oben dargelegt, kann der 30. September jedoch in keinem Fall der erste Tag des gesegneten Fests des Fastenbrechens sein. Wa-Llāhu a`lam.
Die Frage ist gestellt worden, warum ich behauptete, dass auch aufgrund globaler Sichtung in keinem Fall der 30. September Tag des Festes sein konnte, obwohl doch am 29. September die Möglichkeit einer Sichtung mit optischen Hilfsmitteln im äußersten Süden von Argentinien und Chile bestand.
Diese Frage ist wahrscheinlich unter anderem durch die von türkischen Moscheen verteilten Ramaḍānkalender verursacht, die den Ramaḍān vom 1. September bis zum 29. September berechnet anzeigen. Diese Kalender beruhen auf den Berechnungsmethoden der türkischen Diyanet İşleri Başkanlığı, die das Prinzip der globalen Sichtung zusammen mit bestimmten Sichtbarkeitskriterien anwendet. Die Diyanet bezieht sich auf den Beschluss einer islamischen Konferenz in Istanbul im Jahre 1978. Bei dieser Konferenz wurden astronomische Sichtbarkeitskriterien für den Hilāl beschlossen, diese Kriterien sind zunächst aus wissenschaftlicher Sicht auch durchaus einigermaßen in Ordnung (obwohl es natürlich auch noch "bessere" gibt), was man schließlich nicht von allen solchen „Kriterien“ behaupten kann.
Eine andere Sache ist es jedoch, diese Kriterien für eine globale Berechnung der Sichtbarkeit einzusetzen und gleichzeitig auf jegliche echte Sichtung völlig zu verzichten (das tut nämlich die Diyanet). Unter der Mehrzahl der islamischen Gelehrten besteht weitgehend Einigkeit, dass eine reine Berechnung ohne echte Sichtung des Hilāls nicht der Sunna entspricht und abzulehnen ist.
Aber mal davon abgesehen hat das Prinzip der Diyanet einen ganz großen und kardinalen Fehler: Sie berechnen jeweils die Sichtbarkeit des Hilāls für einen Bereich auf der Erde, an dem das gleiche westliche Kalenderdatum gilt. Mit anderen Worten, sie berechnen die Sichtbarkeit des Hilāls beginnend von der künstlichen Datumsgrenze im Pazifik einmal westlich herum um die Erde bis wieder an die Datumsgrenze. Das ist völlig willkürlich und diese Vorgehensweise hat islamrechtlich überhaupt keine Begründung. Die Datumsgrenze ist vor etwa 160 Jahren künstlich festgelegt worden, sie hat überhaupt keinen Bezug zum islamischen Tag und auch nicht zur Mondbewegung. Man könnte die Datumsgrenze auch mitten durch den Atlantik festlegen, oder irgendwo anders, das hätte islamrechtlich zwar keinerlei Bedeutung, aber trotzdem Auswirkungen auf die Diyanet-Kalender.
Der islamische Tag beginnt nämlich für jeden Ort auf der Erde mit Sonnenuntergang, zuerst kommt die ganze Nacht, dann kommt der ganze helle Tag. Dazu meine folgende Argumentation:
- Am 29. September wird in Deutschland die Sonne etwa um sieben Uhr abends untergehen. In diesem Moment beginnt der neue islamische Tag, nach dem Prinzip der globalen Sichtung müsste das dann schon der 30. Ramaḍān sein. Ein Versuch, den Hilāl in Deutschland nach Sonnenuntergang zu sichten, ist aussichtslos.
- Etwa sieben Stunden später wird die Sonne im Süden Argentiniens und Chiles untergehen. In Deutschland ist es inzwischen zwei Uhr nachts. Wir nehmen mal den unwahrscheinlichen Fall an, dass dort auf Feuerland jemand eine Hilālsichtung versucht. Wohlgemerkt, diese Gegend ist ziemlich unwirtlich und menschenleer und Tausende Kilometer von der „Zivilisation“ entfernt, und was dort üblicherweise für ein Wetter herrscht und ob man einen Hilāl zu dieser Jahreszeit dort so „einfach“ beobachten kann, will ich garnicht zur Frage erheben.
- Weiter angenommen: Der Beobachter in Südchile hat tatsächlich den Hilāl mit einem Fernglas oder Fernrohr gesichtet. Er war auch zufällig Muslim und etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang meldet er per Satellitentelefon (das er ebenso zufällig dabei hat) seine Sichtung an die Weltöffentlichkeit. Etwa eine weitere Stunde später werden die islamischen Gemeinden informiert. Inzwischen ist es in Deutschland vier Uhr nachts.
- Es gibt Weltgegenden (z.B. Asien oder Iran), wo zu dieser Zeit bereits mit dem Fasten begonnen wurde. In Deutschland macht man sich schon zum letzten Suḥūr bereit. Sollen jetzt alle ihr Fasten brechen oder gar nicht mehr beginnen? Eine Eigenschaft des Islam ist es, den Menschen ihre `Ibādāt leicht zu machen und nicht Erschwerungen zu bringen. Und schon gar nicht sollen Leute, die in der Nacht ihr Fasten begonnen haben, regelrecht an der Nase herum geführt werden, indem es dann hieße: „Tut mir leid, ihr müsst euer Fasten gleich wieder abbrechen und ganz spontan das Fest begehen, weil gerade irgendwo auf Feuerland einer den Hilāl gesehen hat.“
- Hier ist genau das Problem des Diyanet-Kalenders: Der 30. Ramaḍān hat doch zu dieser Zeit bereits längst begonnen, nämlich mit Sonnenuntergang am Abend zuvor, und zu dieser Zeit (bzw. kurz danach, wie es üblich wäre) gab es im Iran und in der Türkei und in Deutschland gar keine mögliche Hilālsichtung! Und nach der Sunna heißt es doch: „Beginnt das Fasten und beendet das Fasten, wenn ihr den Hilāl gesichtet habt (gemeint ist: nach Sonnenuntergang)“. (Das ist aber in Deutschland übrigens noch nicht mal am folgenden Abend möglich.) Eine Entscheidung über den Monatsbeginn bzw. sein Ende kann demnach auch nur kurz nach Sonnenuntergang getroffen werden, und nicht neun oder zwölf Stunden später, dann ist „der Zug schon abgefahren“. So etwas hat auch keinerlei Beispiel in der Sunna.
Die Globale Sichtung kann zwar als Prinzip angenommen werden, aber man muss es dann auch richtig machen. Wenn ein islamischer Tag schon für viele Stunden „am Laufen“ ist, kann ich nicht mit einer Sichtungsmeldung aus Südchile oder aus der Südsee ankommen, und die Zeit quasi wieder zurückdrehen. Diese Meldung kommt dann einfach für diesen Tag zu spät.
Wenn ich dann am nächsten Abend sage: „Die Sonne ist jetzt untergegangen und der Hilāl wurde gesehen (nämlich am Morgen zuvor(!) in Südchile, und danach auch in Australien, Indonesien, Arabien, Afrika...), also beginnt jetzt mein neuer Monat!“ - dann und genau dann stimmt die ganze Angelegenheit wieder. Und dann stellt das Befolgen der `Ibādāt auch keine Erschwernis dar und alle „Probleme“ mit Datumsgrenzen und Sichtungsmeldungen mitten in der Nacht oder am folgenden Morgen lösen sich in Nichts auf.
Etwas anders ist es, wenn wie zum Beginn des Ramaḍān der Hilāl in Südafrika gesichtet wurde. In Südafrika geht die Sonne etwa zu einer ähnlichen Zeit unter wie bei uns, daher entsteht kein Problem, wenn ich für das Prinzip einer Globalen Sichtung eine Meldung aus Südafrika heranziehe. Aber Südamerika??? Das Prinzip der Globalen Sichtung, das von ihren Vertretern als „jegliches Sichten auf der Welt“ ausgelegt wird, ist einfach von diesen Leuten nicht richtig durchdacht worden, das funktioniert so nicht. Es funktioniert nur wenn ich sage: „Jegliches Sichten auf dem Teil der Welt, der auf meiner geographischen Länge und östlich davon liegt“, aber eben nicht auf dem Teil der Welt, der westlich von mir liegt.
Man könnte das Gleiche auch noch so formulieren: Wenn ich den Teil der Welt in Betracht ziehe, der auf meiner geographischen Länge und östlich davon liegt, betrachte ich (was den Lauf von Sonne und Mond angeht) die Vergangenheit und die Gegenwart. Aber wenn ich weiter nach Westen schaue, schaue ich (was den Lauf von Sonne und Mond angeht) sozusagen in die Zukunft. Man kann so was natürlich unter der Voraussetzung einer Konstanz der Naturgesetze ziemlich genau vorausberechnen, das ist keine Frage. Aber man kann doch nicht zeitgebundene Entscheidungen des Fiqh auf Vorgänge begründen, die erst in der Zukunft stattfinden!
Das wäre so ähnlich, wie wenn man sagen würde: Ich weiß, dass heute Mittag zu einer bestimmten Zeit die Sonne im Süden stehen wird und damit die Zeit des Mittagsgebets eintreten wird, also verrichte ich das Mittagsgebet schon mal heute früh um sechs Uhr, auch wenn da die Sonne gerade im Osten aufgegangen ist. Da würde auch jeder aufschreien und sagen: Ja, das geht aber nicht!!!
Jetzt könnte noch einer kommen und einwerfen: Wenn der Bruder Aḥmad sich solche Fragen stellt und auf solche Antworten kommt - warum sind die Experten von Diyanet nicht darauf gekommen, da sind doch schließlich auch gelehrte Leute darunter? Ja nun, vielleicht liegt es einfach daran, dass diese Leute ihre Kalender nur am Computer berechnen und weder selbst eine echte Hilālsichtung unternehmen, noch überhaupt Sichtungsmeldungen aus aller Welt zur Überprüfung ihrer Kalender auswerten. Dann würden sie vielleicht auch darauf kommen, dass es so nicht funktionieren kann mit globalen Sichtungen, die von uns aus gesehen erst am nächsten Morgen stattfinden. Aber Papier ist halt geduldig - und es ist sehr viel Papier, das zu Ramaḍānkalendern verarbeitet wird.
Ich hoffe, diese Erklärungen werfen etwas Licht auf meine Aussage, dass der 30. September in keinem Fall der erste Tag des gesegneten Fests des Fastenbrechens sein konnte.